Ein Blick über meine eigene Utopie hinaus zeigt mir immer wieder, dass das, was ich mir vor 16 Jahren nicht ausgedacht, sondern in eine Geschichte verpackt habe, auch heute noch in der realen Welt existiert. Für mich als kopfgesteuerten Informatiker ist es immer noch eine Art Utopie: Eine Welt, in der es Menschen gibt, die es schaffen, ihren Traum von einer besseren, gerechteren Gesellschaft zu leben. Sie leben in einer selbstgewählten Gemeinschaft zusammen, meist ohne die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts, fernab von Konsum und Kommerz, und teilen zu hundert Prozent das, was sie sich erarbeitet haben.
Erst gestern Abend habe ich eine Reportage über eine Gemeinschaft in den USA gesehen, die sich Twin Oaks nennt. Die gehen noch einen Schritt weiter: Sie verzichten auf jeglichen privaten Besitz - und das schließt konsequenterweise auch die Kleidung mit ein. Als ich das hörte, war ich zunächst überrascht. Der Gedanke, dass selbst die Unterhose, die ich am Leib trage, nicht mir gehört, sondern Gemeinschaftseigentum ist, erscheint mir zunächst sehr radikal.
Aber mal ehrlich: Kommt mein Unbehagen vielleicht daher, dass wir so sozialisiert sind? Von Kindesbeinen an wird uns eingetrichtert, dass Kleidung den Menschen ausmacht und wir uns darüber definieren. Ist es nicht diese Prägung, die uns das Konzept von Kleidung als Gemeineigentum so fremd erscheinen lässt?
Aber wie befreiend, kosten- und zeitsparend wäre es doch, seine knappe Freizeit nicht mehr damit verbringen zu müssen, die Innenstädte dieser Welt oder das World Wide Web nach dem neuesten Modetrend zu durchforsten.
Ich nehme mich da nicht aus. Auch ich kaufe mir neue Klamotten, obwohl ich es eigentlich nicht muss - sei es, weil ich die Sachen, die ich in den letzten Jahren getragen habe, nicht mehr sehen kann, sei es, weil ich irgendwo etwas gesehen habe, das ich unbedingt haben muss. Wenn ich es dann habe, ziehe ich es ein- oder zweimal an und dann verschwindet es in den Tiefen meines Kleiderschranks. Manchmal vergesse ich sogar, dass ich es überhaupt habe.
Und es ist wirklich erschreckend, in welchem Zustand sich oft die Kleidungsstücke befinden, die ich ausmustere, weil sie mir nicht mehr gefallen oder weil ich sie seit Jahren nicht mehr getragen habe. Kaum ein Kleidungsstück ist abgetragen. In meiner Jugend waren sie oft so zerschlissen, dass man sie nur noch als Putzlappen benutzen konnte. Und heute? Heute sind sie oft wie neu, wenn sie nicht vom Fleckenteufel befallen sind, was bei mir oft der Fall ist.
Zurück zur Idee von Kleidung als Gemeingut. Auf den zweiten Blick erscheint mir diese Idee doch sinnvoll. Die Auswahl wäre größer, zumindest wenn andere auch meine Größe hätten. Man könnte verschiedene Modestile ausprobieren, ohne ständig neue Kleidung kaufen zu müssen. Das spart Geld, schont die Umwelt und andere knappe Ressourcen - alles super und richtig hip.
Aber eine Bitte hätte ich doch: Meine eigene Unterhose, in der nur ich das mache, was ein normaler Mensch mit Verdauung eben so macht. Denn so sehr ich das Konzept des Gemeineigentums auch schätze, ein gewisses Bedürfnis nach persönlichem Raum und Eigentum bleibt. Vielleicht ist das die Balance, die ich noch finden muss - zwischen der Utopie des gemeinschaftlichen Lebens und der Realität meiner eigenen Bedürfnisse.
Wie geht es euch, wenn ihr darüber nachdenkt?
Liebe Grüße
Euer Indie-Autor Jörn
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